Machtspiele in Organisationen
Falko von Ameln (Dr. habil.)
"Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet." Wir wissen, Kafkas Antiheld ist Prokurist einer Bank. Sein vermeintliches Vergehen indes bleibt ihm selbst und uns verborgen. Für sensible Persönlichkeiten die beste Voraussetzung für surreales, alptraumhaftes Geschehen. Organisationsberatern ist indes klar: Hier hat jemand offenbar gegen die latenten Regeln einer Organisation verstoßen. „Latente Regeln“ zählen mit Abstand zu den spannendsten Aspekten, wenn es um die Analyse von Organisationskultur geht. Der Umgang mit latenten Regeln (von Ameln, 2011) zählt – neben Machtspielen in Veränderungsprozessen (von Ameln, 2016) – zu Falkos Forschungsinteressen sowie zu seiner Arbeit im Feld.
Latente, ungeschriebene Regeln sind oft als unbewusste Muster in Organisationen gang und gäbe. Sie sind das Ergebnis von Erfahrungslernen, treiben unentdeckt Blüten, prägen eine Organisationskultur mit und sorgen für Reibungsverluste und Konflikte. Sie beeinflussen Entscheidungsprozesse ebenso wie organisationale Entwicklungsprozesse. Werden die (formalen) Regeln der Zusammenarbeit geändert, weil eine Organisation beispielsweise auf ein anderes Führungsmodell setzt und sich transformieren möchte, wird dies nur dann gelingen, wenn die herrschenden latenten Regeln mit Blick auf Kommunikations- und Entscheidungsmuster mitverändert werden. Was soll bei einer Transformation schon groß herauskommen, wenn vorher nicht latente Regeln wie „Für die Beseitigung von Unsicherheiten ist der Chef zuständig“, oder „Du musst nicht immer alles verstehen“ (von Ameln, 2011: 50) aufgedeckt und verändert werden? Aufdecken und verändern – wie funktioniert das in der Praxis?
Geht es um kulturelle Transformation, organisationales Lernen oder selbst vermeintlich „kleinere“ Themen wie die Optimierung der Kommunikation zwischen verschiedenen Organisationseinheiten – all dies bearbeiten Organisationsberater häufig in bekannten Formaten wie der Kleingruppenarbeit, in Diskussionen, Vorträgen, etc. All diese Formate sind kognitiv orientiert und bilden, wenn man so will, nur eine Seite der Medaille ab. Wir setzen uns mit Falko für handlungsorientierte Methoden in der Organisationsberatung ein (von Ameln/Kramer, 2016). Ziel dabei ist es, eben nicht nur „darüber zu reden“, sondern das, was eine Organisation ausmacht, auch erlebbar zu machen. Können Sie sich Ihre Organisation beispielsweise szenisch vorstellen, um auf diesem Weg ihre Eigenarten erkennen und verändern zu können? Klar, das erfordert etwas Mut und die Lust, mit Neuem zu experimentieren. Stellen Sie sich einmal die unbewussten Anteile ihrer Organisation vor: Metaphorisch gesprochen verbergen sich jenseits der „kollektiven Großhirnrinde“ nicht thematisierte Rollen- und Beziehungsmuster sowie Thematisierungsschwellen. Diese unbewussten Anteile prägen Erwartungsstrukturen und damit die Kommunikation und Interaktion in der Organisation und sorgen für ganz eigene Systemdynamiken. Unsere These: Es kann im Grunde für eine Organisation nur von Vorteil sein, sich spielerisch mit ihrem „wahren Ich“ zu konfrontieren, um ihre konstruktive Macht für Veränderungen freizusetzen. Apropos Macht: Sich konstruktiv mit Fragen der Veränderung auseinanderzusetzen bedeutet für Organisationen auch, die Machtdynamiken selbst in den Blick zu nehmen. Selbst heute, in einer Zeit, in der Hierarchieabbau und Selbstorganisation en vogue sind.
Für uns stellen sich gemeinsam mit Falko in diesem Kontext einige Fragen: Bedeutet ein Abbau hierarchischer Strukturen automatisch, dass Machtfragen in den betreffenden Organisationen eine geringere Rolle spielen würden? Oder manifestiert sich Macht hier lediglich in anderen Erscheinungsformen? Wie können Organisationen so gestaltet werden, dass sie in sich radikal wandelnden Umwelten adaptive Entscheidungen treffen können, ohne dabei von überkommenen Machtstrukturen behindert zu werden? Wie können klare Ausrichtung und partizipative Gestaltung in Veränderungsprozessen in Einklang gebracht werden? Wie kann man in Change-Prozessen einen konstruktiven Umgang mit mikropolitischen Auseinandersetzungen finden? Und selbstkritischerweise nicht zuletzt: Wie können, wie sollten wir als Berater oder Beraterin reagieren, wenn Machtdynamiken die Veränderungsprozesse, die wir begleiten, negativ beeinflussen?
LITERATUR
VON AMELN, F., HEINTEL, PETER 2016. Macht in Organisationen: Denkwerkzeuge für Führung, Beratung und Change Management, Stuttgart, Schäffer Pöschel.
VON AMELN, F. & KRAMER, J. 2016. Organisationen in Bewegung bringen, Berlin/Heidelberg, Springer Verlag.
VON AMELN, F. Z., RAINER 2011. Musterwechsel in Organisationen. Latente Organisationsregeln als Schlüsselfaktoren gelingenden Change Managements. Organisationsentwicklung, 4, 49-55.